Lass dich überwachen! Worauf es ankommt, damit Überwachung für Bürgerinnen und Bürger akzeptabel ist

05. Mai 2020, Michael Friedewald

Die aktuell diskutierten Corona-Tracing-Apps sind (wie auch andere Maßnahmen zur Pandemieeindämmung) Projekte zur möglichst flächendeckenden Überwachung der Bevölkerung. Überwachung hat aber nicht erst seit NSA und Edward Snowden einen schlechten Ruf – und das aus gutem Grund. Viele Beispiele für (technische) Überwachung durch staatliche Stellen, aber auch durch privatwirtschaftliche Unternehmen sind undurchsichtig, sie sammeln Daten im Verborgenen, ohne Kontrollmöglichkeiten durch die Überwachten und für fragwürdige Zwecke. Das alles kann dazu führen, dass es mit der Akzeptanz solcher Maßnahmen nicht weit her ist, im besten Fall fügen sich die Bürger_innen in ihr Schicksal, “weil man ja nichts dagegen tun kann”. Was also muss man bei der Gestaltung beachten, damit die Corona-Tracing-App überhaupt eine freiwillige Nutzung von 60% der Bevölkerung erreichen kann, die laut Robert-Koch-Institut notwendig ist, um Infektionsketten wirksam zu unterbrechen.

Um diese Fragen zu beantworten haben wir die Daten einer repräsentativen paneuropäischen Befragung zu den Einstellungen von Bürger_innen zu Fragen von Sicherheit, Privatheit und Überwachung mit ca. 28.000 Teilnehmer_innen (davon 1.000 aus Deutschland) neu ausgewertet. Unsere Hauptergebnisse sind:

Datenschutz und Sicherheit sind kein Widerspruch

Wie schon bei Überwachungsmaßnahmen gegen Terrorismus vor einigen Jahren wird aktuell wieder behauptet, die Bürger_innen seien gern bereit, ein Stück ihrer Privatheit für mehr Sicherheit aufzugeben. Diese These war schon vor Jahren falsch und ist es immer noch. Unsere Befragung hat gezeigt, dass die Wertschätzung von Privatheit und Sicherheit nicht voneinander abhängen. Bürger wünschen sich also Maßnahmen, die ihre Sicherheit erhöhen und dabei nicht ihre Privatheit einschränken. Wir befinden uns in der glücklichen Lage, dass es nach über 25 Jahren Forschung technische Möglichkeiten gibt, beides zu erreichen – wenn man dies will.

Es kommt auf den Nutzen und die Alternativen an

Nicht jede Form von Überwachung wird von den Bürger_innen abgelehnt. Es kommt vielmehr darauf an, ob ein klar formuliertes und als relevant bewertetes Problem adressiert wird und ob es möglicherweise Alternativen gibt, die mit weniger negativen Nebeneffekten ebenfalls das Ziel erreichen. So kann eine Verkehrsschwelle das Problem überhöhter Geschwindigkeit unmittelbarer und mit weniger Datenerhebung lösen als eine Abschnittskontrolle mit Kennzeichenerfassung. Im Fall einer Corona-Tracing-App dürfte dem guten Zweck kaum jemand ernsthaft widersprechen. Schwieriger wird es schon bei der Frage, ob es Alternativen gibt, die dieses Ziel besser und mit weniger Nebenwirkungen erreicht. So haben andere Länder (z.B. Taiwan) andere (technische) Lösungen gewählt, die ggf. wirksamer sein könnten als eine Tracing-App. Angesichts der Dringlichkeit des Problems dürfte es aktuell jedoch nicht möglich sein, Alternativen ernsthaft zu vergleichen.

Vertrauen ist ein entscheidender Faktor

Des Weiteren kommt es immer darauf an, wie überwacht wird und wer überwacht. In Europa vertrauen die Bürger_innen bei Überwachungsmaßnahmen in der Regel eher staatlichen Stellen (abgesehen von den Geheimdiensten) als Privatunternehmen. Dies ist in den USA, aber auch in Staaten mit nicht allzu lange zurückliegenden Erfahrungen mit staatlich-repressiver Überwachung (Griechenland, ehemalige Ostblock-Staaten) beispielsweise anders. Konkret bedeutet dies, dass eine technische Überwachung zur Eindämmung der Corona-Pandemie am ehesten für die Bürger_innen akzeptabel ist und dann auch noch genutzt wird, wenn sie von einer staatlichen Stelle betrieben wird, die einer öffentlichen Kontrolle unterliegt – etwa das Robert-Koch-Institut, dem die Bürger laut Umfragen höchstes Vertrauen schenken.

Transparenz schafft Vertrauen

Ein Grund für das höhere Vertrauen der Bürger_innen in Überwachungsmaßnahmen durch öffentliche Stellen liegt auch darin, dass diese i.d.R. mehr Transparenz und Offenheit praktizieren als Google oder Apple (vgl. den Beitrag „Psychologische Voraussetzungen für die Nutzung einer Proximity Tracing-App“). So ist es dem Vertrauen und damit der Akzeptanz der Bürger_innen besonders abträglich, wenn die Überwachung im Verborgenen stattfindet oder wenn nicht klar ist, welche Daten erfasst werden und ob diese über den kommunizierten Zweck hinaus für weitere Zwecke genutzt werden können. Die Erfahrungen der letzten 20 Jahre mit den großen Internetfirmen macht deutlich, woher das Misstrauen (oder auch die Resignation) der Bürger_innen kommt, da jedes erfasste Datum als Marktwert begriffen und für alle möglichen weiteren Zwecke weiterverwendet wird (dies gilt in noch stärkerem Maße für die Überwachungsmaßnahmen der internationalen Geheimdienste). Für alle am Betrieb einer Corona-Tracing-App Beteiligten bedeutet dies, dass jegliche Art von (Vorrats-)Speicherung unterbleiben muss, soll der gute Zweck nicht von Beginn an unterminiert werden. Das gilt ganz besonders für die privatwirtschaftlichen Akteure, egal ob amerikanischer oder einheimischer Herkunft.

Aus dem gleichen Grund sollte man auch bei der Corona-Tracing-App die mehr oder weniger verständlichen Begehrlichkeiten, egal, ob zu Zwecken der Gesundheitsforschung (Stichwort: Datenspende) oder zu Zwecken der öffentlichen Ordnung (Stichwort: Überwachung des Kontaktverbots), kritisch hinterfragen.

Vertrauen durch Freiwilligkeit

Vertrauen wird auch dadurch entstehen, dass es den Nutzenden überlassen bleibt, die Corona-Tracing-App zu nutzen. Können sie frei darüber entscheiden, dass sie diese Überwachungstechnik für einen sie überzeugenden, die Allgemeinheit schützenden guten Zweck verwenden sollen, werden sie eher bereit sein, dies zu tun, als wenn sie dazu gezwungen werden und die Befolgungspflicht unterlaufen werden kann (Liegenlassen des Smartphones, Ausschalten von Bluetooth). Keine ausreichende Freiwilligkeit besteht, wenn mehrere Zwecke mit der Corona-Tracing-App verfolgt werden, die nicht getrennt ausgewählt werden können (siehe Beitrag „Wofür sind GPS-Daten hilfreich und notwendig?“).


Über den Autor

Dr. Michael Friedewald ist Leiter des Geschäftsfelds „Informations- und Kommunikationstechnik“ am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe. Er koordiniert das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte „Forum Privatheit und selbstbestimmtes Leben in der digitalen Welt”.

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