27.08.2024
Digitale Medien haben die Landschaft der politischen Werbung grundlegend verändert. Während frühere Formen der Wahlwerbung darauf abzielten, bestimmte Wählergruppen auf Basis von postalischen Adressen zu erreichen, bietet die digitale Welt durch die Nutzung fortschrittlicher Analysetechniken eine präzisere und oft kontrovers diskutierte Methode: Die personalisierte politische Online-Werbung, auch bekannt unter dem Begriff des politischen Microtargetings. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Plattform Privatheit hat dazu ein Paper veröffentlicht.
Früher wurden Wählergruppen von Parteien auf Basis von
Postleitzahlen oder Wohnvierteln in Kategorien wie reich/arm oder alt/jung
eingeteilt. Diese Gruppen wurden dann gezielt mit auf sie zugeschnittenen
Wahlbotschaften angesprochen. Mit dem Aufkommen digitaler Technologien
hinterlassen Nutzer:innen zahlreiche Daten-Spuren im Internet, die von
Werbetreibenden genutzt werden können, um detaillierte Persönlichkeitsprofile
zu erstellen. Dieses Wissen wird auch genutzt, um maßgeschneiderte politische
Botschaften zu erstellen und diese über Social-Media-Plattformen zu verbreiten.
Ein bekanntes Beispiel hierfür war die Nutzung von "custom audiences"
durch Cambridge Analytica auf Facebook im Vorfeld des Brexit-Referendums und
der US-Wahlen im Jahr 2016.
Strengere Regeln ab Oktober 2025
Personalisierte politische Online-Werbung bewegt sich im Spannungsfeld zwischen der Aufgabe der Parteien, an der politischen Willensbildung mitzuwirken und der Freiheit der Wahl. Einerseits sollen die Parteien die öffentliche Meinung laut Grundgesetz mitgestalten. Andererseits erlaubt es grundsätzlich auch politisches Microtargeting: An unterschiedliche Personengruppen kann unterschiedliche politische Werbung versendet werden, die sich an den Interessen und Bedürfnissen der jeweiligen Wähler:innen orientiert. Das heißt, dass zum Beispiel Jüngere mit anderen Teilen eines Parteiprogramms angesprochen werden als Ältere. Problematisch wird es allerdings, wenn unterschiedlichen Gruppen und Personen sich widersprechende Aussagen angezeigt werden.
Wichtige gesetzliche Regeln zum Einsatz von personalisierter politischer Werbung finden sich im Digital Services Act (DSA) der EU, ergänzt durch das deutsche Digitale-Dienste-Gesetz (DDG), sowie in der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO). Demnach dürfen Online-Plattformen ohne die ausdrückliche Einwilligung der Betroffenen keine Werbung anzeigen, die auf Profiling unter Verwendung sensibler personenbezogener Daten beruht. Sehr große Online-Plattformen und Suchmaschinen müssen darüber hinaus Werbearchive einrichten, die unter anderem Auskunft über die Hauptparameter des Targetings geben. Zudem müssen sie Risiken für Wahlprozesse, die sich aus ihren Diensten ergeben, bewerten und mindern.
„Ab Oktober 2025 werden mit der Verordnung über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung (TT-VO) strengere Regeln gelten. Dann müssen alle Anbieter politischer Werbedienstleistungen umfangreiche Transparenz- und Sorgfaltspflichten erfüllen. Das Schalten von politischer Werbung unter Einbezug personenbezogener Daten darf dann nur noch erfolgen, wenn der Werbedienstleister diese selbst bei der betroffenen Person erhoben hat, diese Person ihre ausdrückliche Einwilligung für Zwecke der politischen Werbung erteilt hat und kein Profiling mit besonders sensiblen Daten, wie zum Beispiel der politischen Einstellung, erfolgt”, sagt Tahireh Panahi, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Öffentliches Recht, IT-Recht und Umweltrecht an der Universität Kassel.
Unzureichende Datenlage: Die Situation in Deutschland und Europa
Trotz der bereits geltenden Regeln des DSA und der DS-GVO informieren Plattformen bislang nur wenig darüber, wie und in welchem Umfang Microtargeting in Deutschland und Europa zum Einsatz kommt. Vorliegende empirische Untersuchungen basieren daher hauptsächlich auf Interviews mit Parteivertreter:innen, unvollständig zugänglichen Plattformdatenbanken und Investigativrecherchen. Detaillierte empirische Daten der Plattformen zur tatsächlich geschalteten Werbung fehlen weitgehend, was eine fundierte Einschätzung erschwert. Dabei hat bereits der heute geltende DSA entsprechende Vorgaben gemacht, die jedoch seitens der Plattformen derart umgesetzt wurden, dass sich daraus kaum Aussagen zum tatsächlichen Einsatz von Microtargeting ableiten lassen. Eine Besserung der Datenlage hängt vor allem von der Effektivität der Rechtsdurchsetzung bei Verstößen gegen den DSA ab. Bereits jetzt klagen Unternehmen jedoch gegen die Einstufung als "sehr große Online-Plattform", was die Rechtsdurchsetzung des DSA in die Länge ziehen kann. Auch die von Elon Musk angedrohte Klage gegen das von der EU-Kommission gegen X eingeleitete Untersuchungsverfahren verdeutlicht die Schwierigkeiten einer effektiven Rechtsdurchsetzung.
Kennzeichnung von politischer Werbung führt kaum zu einer Bewusstseinssteigerung
Yannic Meier, Medienpsychologe an der Universität Duisburg-Essen, stellt klar: „Dass Wahlausgänge mit Leichtigkeit manipuliert werden können, ist zwar aufgrund der empirischen Befundlage höchst unwahrscheinlich. Studien zeigen aber, dass Wähler:innen politische Beiträge für glaubwürdiger halten, wenn diese auf ihre Persönlichkeit zugeschnitten sind, wenn also zum Beispiel eine extrovertierte Person mit einer extrovertiert klingenden Nachricht kontaktiert wird. Allerdings lassen sich Bürger:innen so kaum dazu bringen, eine bereits getroffene Wahlentscheidung oder eine starke Einstellung zu ändern. Einfluss hat personalisierte Wahlwerbung daher vermutlich am ehesten auf noch unentschlossene Wähler:innen mit schwachen Voreinstellungen.“ Die Forschung zeigt auch, dass selbst auffällige und informationsreiche Kennzeichnungen der Werbenachrichten kaum zu einem gesteigerten Bewusstsein über Microtargeting führen – was Folgen für die Regulierung hat, die unter anderem eben auf bessere Kennzeichnung setzt.
Sollte politisches Microtargeting ganz verboten werden?
Es ist daher zu begrüßen, dass mit der TT-VO eine weitere Verschärfung der Regeln für personalisierte politische Werbung erfolgt. Zusätzlich sollte die Umsetzung der TT-VO durch die Medien und Forschung begleitet werden. Es gilt auch, die Bürger:innen über ihre neuen Rechte aufzuklären. „Wir befinden uns in einem Superwahljahr, in dem europaweit eine Reihe wichtiger Wahlen stattfinden. Trotz der jahrelangen Debatte über politisches Microtargeting wissen wir immer noch viel zu wenig über die Praxis, weil die Plattformen wichtige Daten bewusst zurückhalten”, kritisiert Murat Karaboga, Politikwissenschaftler am Fraunhofer ISI. „Es ist zwar begrüßenswert, dass die geltenden Regeln mit der TT-VO verschärft werden, ich sehe aber auch die Gefahr, dass die Plattformen auch weiterhin alles dafür tun werden, um die Regeln zu umgehen.” Karaboga befürchtet, dass die Werbearchive weiterhin so gestaltet werden könnten, dass sie kaum nutzbar seien. Auch dass die Durchsetzung der neuen Regeln sich aufgrund von Klagen über Jahre verzögern könnte, hält er für ein mögliches Szenario. "Wir sollten uns fragen, ob es nicht an der Zeit ist, über ein klares Verbot von politischem Microtargeting zu diskutieren.”
“Projekt DYNAMO - Hochdynamische Verbreitungsformen von Desinformation verstehen, erkennen und bekämpfen”
Tahireh Panahi
Fachgebiet Öffentliches Recht, IT-Recht und Umweltrecht
Universität Kassel
Mitglied “Plattform Privatheit”
Dr. Yannic Meier
Fachgebiet Sozialpsychologie: Medien und Kommunikation
Universität Duisburg-Essen
Mitglied “Plattform Privatheit”
Dr. Murat Karaboga
Competence Center Neue Technologien
Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI
Wissenschaftskommunikation „Plattform Privatheit“
Barbara Ferrarese, M.A.
Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI
Competence Center Neue Technologien
+49 151 724 25939
barbara.ferrarese@isi.fraunhofer.de
„Plattform Privatheit und selbstbestimmtes Leben in der digitalen Welt“
https://www.plattform-privatheit.de
Bluesky: @plattformprivat.bsky.social
Mastodon: @ForumPrivatheit@bawü.social
In der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Plattform Privatheit untersuchen Expertinnen und Experten interdisziplinär, kritisch und unabhängig Fragestellungen zu Privatheit und Datenschutz in der digitalen Welt. Die Plattform Privatheit wird vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung und dem Wissenschaftlichen Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung an der Universität Kassel koordiniert.