Digitaler Schutz auf Basis analoger Erfahrungen

14. Mai 2024, Clara Strathmann

Wissenschaftler:innen erforschen, wie Kinder, Senior:innen und Menschen mit Behinderung beim Schutz ihrer Privatsphäre online unterstützt werden können. Dabei greifen die Forscher:innen auf Alltagserfahrungen aus der analogen Welt zurück.

© shutterstock.com/New Africa
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Unser aller Leben ist mittlerweile geprägt durch digitale Dienste, die wir teils mehr, teils weniger freiwillig nutzen. Doch insbesondere für vulnerable, also besonders schützenswerte Gruppen, zu denen Kinder, ältere Menschen oder Menschen mit Behinderung gehören, ist es besonders schwer, ihre Privatsphäre gut zu schützen. Das Projekt DiversPrivat erforscht, was man dem entgegensetzen kann und durch welche Maßnahmen oder Tools vulnerable Gruppen beim Schutz ihrer Privatsphäre unterstützt werden können.

In der digitalisierten Welt geben Internetnutzer:innen bereitwillig Informationen über sich selbst preis, sei es durch Posts in sozialen Medien oder durch den Konsum von Videos oder Liedern auf verschiedenen Streaming-Plattformen. Längst ist kein Geheimnis mehr, dass diese Daten für Unternehmen von großem Interesse sind. Jede Art von Nutzerinteraktion ermöglicht die Erstellung und Erweiterung eines Nutzerprofils. Je umfangreicher und genauer es ist, desto besser und gezielter kann das datensammelnde Unternehmen die Nutzer:innen zu weiteren Interaktionen animieren.

Während dies für die Nutzer:innen auch Vorteile bringen kann, zum Beispiel durch passgenau zugeschnittene Angebote, birgt die Profilerstellung auch Risiken, insbesondere durch Diskriminierung. So kann es zum Beispiel vorkommen, dass bestimmte Nutzer:innen aufgrund ihres Alters oder Wohnorts von bestimmten Diensten ausgeschlossen werden oder beim Online-Shopping für dasselbe Produkt andere Preise angezeigt bekommen.

Die Voraussetzungen für eine informierte und freiwillige Entscheidung sind nicht bei allen Menschen gegeben

Solchen Risiken kann mit entsprechenden Schutzmaßnahmen begegnet werden. Dabei wird oft auf das Konzept der „Privacy Literacy“ verwiesen, welches das Ziel verfolgt, Nutzer:innen darin weiterzubilden, wie sie ihre Privatsphäre und ihre Daten besser schützen können. Damit Menschen in die Verarbeitung der eigenen Daten einwilligen können, müssen jedoch gemäß der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bestimmte Voraussetzungen gegeben sein, nämlich: Informiertheit, Freiwilligkeit und Entscheidungsfähigkeit. Doch nicht immer ist dies der Fall: Bestimmte kognitive Fähigkeiten (z. B. ein Verständnis von Privatheit, die Abschätzung von Folgen der Einwilligung für die eigene Zukunft) können (noch) nicht vorliegen (wie z. B. bei Kindern oder Personen mit einer geistigen Behinderung), aber auch geringe Erfahrungswerte im Umgang mit digitalen Diensten (wie z. B. bei Senior:innen) können dazu führen, dass Individuen potenzielle Risiken nicht zuverlässig einordnen können.

Erfahrungen aus der analogen Welt in die digitale Welt übertragen

Da es wenig sinnvoll ist, diese Personengruppen zum Beispiel über Abendkurse erreichen zu wollen, möchte das Projekt DiversPrivat Alternativen zum Privacy Literacy-Konzept entwickeln. Dahinter steckt im Kern die Idee, sich die Privatheitserfahrungen der analogen Welt zunutze zu machen: Hier erfahren wir körperlich- sensorisch und reagieren instinktiv auf Privatheitsbedrohungen (wir senken z. B. die Stimme, wenn sich bei einem vertraulichen Gespräch eine weitere Person nähert). Im Internet könnte man das zum Beispiel nachbilden, indem man durch eine lebensnahe Darstellung der potenziellen Folgen von Datenpreisgaben im Internet versucht, bestimmte Emotionen hervorzurufen. Im weiteren Verlauf könnten dann aufmerksamkeitserregende Signale eingesetzt werden (z. B. ein beobachtendes Augenpaar oder Chatbots), die dann zum Beispiel daran erinnern, einem Cookie nicht zu schnell zuzustimmen. Hier wird ethisch fundiert und entlang der rechtlichen Rahmenbedingungen entwickelt und psychologischempirisch geprüft, inwieweit es vor allem für vulnerable Gruppen hilfreich ist, eher körperlichsensorische Reaktionen hervorzurufen (eine Art 7. Sinn für den Schutz der Privatheit) anstatt nur auf kognitive Wissensvermittlung zu setzen.

Die ersten Schritte des Projekts bestehen unter anderem darin, zunächst die Bedarfe vulnerabler Gruppen hinsichtlich ihres Privatheitsschutzes im Internet zu verstehen. Dabei werden mit Grundschulkindern, Senior:innen sowie Personen mit geistiger Behinderung Kleingruppen-Interviews durchgeführt, in welchen das Bewusstsein dieser Gruppen hinsichtlich systematischer Datensammlung im Internet erhoben wird. Zudem werden potentielle Schutzmaßnahmen diskutiert sowie Ideen für eine zielgruppengerechte Unterstützung beim Privatheitsmanagement entwickelt. Der nächste Schritt wird dann darin bestehen, in mehreren Workshop-Durchgängen konkrete Signale zu entwickeln, deren Effektivität empirisch überprüft wird. Das Projekt hat somit eine Lebensverbesserung im Alltag diverser vulnerabler Gruppen zum Ziel.

DiversPrivat ist eine Kooperation der Universitäten Duisburg-Essen (Psychologie), Kassel (Recht), Passau (Angewandte Ethik) und Tübingen (Medienethik & Wissenschaftskommunikation) und wird gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Zur Teilhabe am Forschungsvorhaben sowie weiteren Informationen und Entwicklungen wird derzeit eine Projektseite entwickelt, welche in Kürze auf der Projektseite des BMBF (https://www.forschung-it-sicherheit-kommunikationssysteme.de/projekte/diversprivat) sowie auf der Seite der Plattform Privatheit verlinkt wird.



Über den Autor

Clara Strathmann, M.Sc.

arbeitet seit August 2023 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt DiversPrivat am Lehrstuhl für Sozialpsychologie - Medien und Kommunikation der Universität Duisburg-Essen, wo sie zuvor den Bachelor und Master in Angewandte Kognitions- und Medienwissenschaft absolvierte. In ihrer bisherigen Forschung beschäftigte sie sich schwerpunktmäßig mit Sprachassistenten: Der Kommunikation mit ihnen, der Beziehungsbildung zu ihnen sowie ihrer Transparenz. In DiversPrivat ist sie verantwortlich für die sozialpsychologische Perspektive diversitätsgerechter Privatheit, insbesondere die Planung, Durchführung und Auswertung empirischer Arbeiten.

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