Ingrid Stapf rät beim Internetkonsum zu Geboten und Begründungen: „Viele Kinder sind einsichtiger als man denkt“

20.06.2020

„Viele Kinder sind einsichtiger als man denkt“

Medienethikerin rät beim Internetkonsum zu Geboten und Begründungen

Von Leonie Mielke (epd)

Wegen Corona verbringen auch die Kleinen viel Zeit mit PCs und Smartphones. Bei Eltern löst das manchmal Ohnmachts-Gefühle und den Wunsch nach mehr Kontrolle aus. Eine Medienethikerin erklärt, wie Eltern und Kinder eine gute Balance finden.

Tübingen (epd). Kinder, die durchs Netz surfen, und Eltern, die deswegen besorgt sind - spätestens seit der Corona-Krise ist dieses Problem akuter denn je. „Ich sehe das bei meinen eigenen Kindern“, sagt die Tübinger Medienethikerin Ingrid Stapf im Telefongespräch. Oft genug habe man als Erwachsener schon das Gefühl, zu viel Zeit mit Mails und sozialen Medien zu verbringen. „Und jetzt sehe ich meine Kinder auch ständig wegen irgendwelcher Zoom-Konferenzen vor dem Rechner sitzen“, erzählt sie. Für Eltern sei es mehr denn je eine große Herausforderung, wenn nicht gar Überforderung, mit dem Medienkonsum ihrer Kinder umzugehen. Die Wissenschaftlerin rät Eltern vor allem zur Reflektion des eigenen Verhaltens und zu vielen Gesprächen mit den Kindern. „Zahlreiche Eltern regulieren - sinnvollerweise - die Medienzeit ihre Kinder“, berichtet Stapf. Wenn die Erwachsenen dann aber selbst in jeder freien Sekunde zum Handy greifen, sei das irritierend. „Wir wissen, dass Kinder das Informelle, also das, was ihnen vorgelebt wird, sehr stark wahrnehmen“, betont sie. Daher müssten Eltern diese unterschiedlichen Regelungen zumindest erklären. „Man sollte ihnen Gründe sagen, warum etwas wichtig oder problematisch ist“, erläutert Stapf. Etwa, dass Erwachsene aus beruflichen Gründen oft schnell auf Mails reagieren müssen, oder dass ständiges Computerspielen schädlich für die Entwicklung eines Kindes ist. „Viele Kinder sind einsichtiger als man denkt“, betont Stapf. Mit Begründungen und Geboten könnten Eltern viel erreichen. Dazu gehöre auch, Kinder bei ihren Erfahrungen im Digitalen zu begleiten. „Man sollte darüber reden, ’Was erlebt das Kind?’ oder ’Welche Gefühle lösen bestimmte Spiele oder Bilder bei ihm aus’“, so die Expertin. Das helfe auch den Eltern, das Vertrauen aufzubauen, dass das Kind auch im Netz das Richtige tut. „Auch Kinder haben ein moralisches Bewusstsein, sie starten nicht automatisch ein offensichtliches Gewaltvideo“, sagt sie. Zu kontrollieren, welche Websites ein Kind aufgerufen hat, sieht Stapf mit Skepsis. „Ich verstehe, das surfende Kinder Angst- und Ohnmachts-Gefühle bei Eltern auslösen“, sagt sie. Vor allem, wenn die Kinder gerade in einer Phase seien, in der sie sich zurückziehen oder abnabeln. Sie empfiehlt Eltern aber, zunächst genau zu hinterfragen, warum sie ihre Kinder überwachen wollen. „Ist es wirklich Fürsorge? Denke ich, dass mein Kind sich Enthauptungsvideos anguckt oder gefährliche Dinge macht?“, erläutert die Medienethikerin. Dann sei es gerechtfertigt. Oft nutzten Eltern solche Kontrollmechanismen aber einfach, weil es sie gibt. „Das entspricht dann keinem erzieherischen Ideal eines möglichst selbstbestimmt aufwachsenden Kindes“, betont Stapf, die auch Mitglied der interdisziplinären Plattform „Forum Privatheit“ ist, die unter anderem gesellschaftliche und politische Empfehlungen zum digitalen Datenschutz von Kindern veröffentlicht. Insgesamt spricht sich Stapf dafür aus, nicht allzu hart mit Eltern beim Thema Medienkonsum ins Gericht zu gehen. „Wir dürfen nicht vergessen, die jetzige Generation kann in diesem Punkt ihre Eltern nicht um Rat fragen“, sagt sie. Gerade in der Corona-Krise müssten sie aus dem Stehgreif Lösungen finden.