Erste empirische Daten zur Nutzungsbereitschaft einer Proximity Tracing-App

26. Mai 2020, Yannic Meier und Nicole Krämer

Eine Tracing-App als Gegenmaßnahme zur Ausbreitung von Covid-19 soll laut Medienberichten in Deutschland ab Mitte Juni verfügbar sein.

Eine Tracing-App als Gegenmaßnahme zur Ausbreitung von Covid-19 soll laut Medienberichten in Deutschland ab Mitte Juni verfügbar sein. In zwei weiteren Blogbeiträgen (“Psychologische Voraussetzungen…”, Lass dich überwachen!“) wurde bereits – basierend auf empirischen Daten aus anderen Bereichen – beschrieben, welche psychologischen Faktoren die Nutzungsbereitschaft einer solchen App beeinflussen können. Wir hatten argumentiert, dass bestimmte Nutzungsvorteile salient sein müssen, wohingegen Privatheitsrisiken und andere negative Aspekte auf ein mögliches Minimum reduziert werden sollten. Nun liegen vorläufige Ergebnisse zweier repräsentativer Querschnittstudien eines Forschungsteams aus den USA zum Thema Corona-Tracing Apps vor, die diese Annahmen stützen.

Die Forscher*innen folgten dabei mehreren Fragestellungen. Unter anderem waren sie daran interessiert, wie sich wahrgenommene Privatheitsrisiken, die wahrgenommene Fehlerfreiheit der App (d.h. es werden alle Personen richtigerweise alarmiert), die Wirksamkeit der App sowie demographische Variablen auf die Nutzungsbereitschaft auswirken. In der ersten Studie mit 789 Teilnehmenden fanden die Forschenden heraus, dass 88% der Befragten bereit wären, definitiv eine Tracing-App zu nutzen, wenn diese sowohl fehlerfrei arbeitet als auch keinerlei Privatheitsrisiken aufweist. Bei einer fehlerhaften Anwendung sinkt die Nutzungsbereitschaft stark. So sagten nur 53%, dass sie zumindest eventuell eine App nutzen würden, die Menschen nicht alarmiert, obwohl sie Kontakt zu einer infizierten Person hatten und 60% sagten aus, dass sie zumindest eventuell eine Anwendung nutzen würden, die Personen fälschlicherweise alarmiert. Darüber hinaus wurden die Teilnehmenden gefragt, ob sie die App nutzen würden, wenn verschiedene Entitäten (z.B. die Regierung oder der Arbeitgeber) Zugriff auf sensible Daten (z.B. ob man positiv getestet wurde) hätten. Hier zeigte sich eine noch geringere potenzielle Nutzungsbereitschaft, die je nach Entität zwischen 45 und 55% schwankte. Im Hinblick auf soziodemographische Variablen zeigte sich, dass jüngere Personen und Frauen weniger bereit waren, eine Applikation zu nutzen, die Privatheitsrisiken aufweist. Ein weiterer Faktor, der mit einer höheren Nutzungsbereitschaft einherging, waren Internetfähigkeiten: Personen, die eine hohe Erfahrung mit dem Internet angaben, wiesen eine höhere generelle Nutzungsbereitschaft auf, ungeachtet von der Fehlerhaftigkeit und potenzieller Privatheitsrisiken. Schließlich fanden die Wissenschaftler*innen heraus, dass Befragte, die angaben, jemanden zu kennen, der oder die an Covid-19 gestorben ist, eine 5,5-mal höhere Nutzungsbereitschaft einer fehlerhaften Anwendung aufwiesen als Proband*innen, die keinen Covid-19-Todesfall in ihrem Bekanntenkreis berichteten.

In einer zweiten Untersuchung mit insgesamt 3826 Teilnehmer*innen fanden die Wissenschaftler*innen heraus, dass die Nutzungsbereitschaft steigt, wenn Nutzende denken, dass die Infektionsrate mithilfe der App sinken wird. Ähnlich verhält es sich mit der wahrgenommenen Genauigkeit, mit der man benachrichtigt wird, wenn man in der Nähe einer infizierten Person war: je akkurater die App eingeschätzt wird, desto höher ist die Nutzungsbereitschaft. Dies stützt die Befunde der ersten Untersuchung. Ebenfalls identisch mit der ersten Befragung ist das Ergebnis, dass die Wahrnehmung von Privatheitsrisiken durch die App einen negativen Einfluss auf die Nutzungsbereitschaft hat.

Zusammengefasst zeigen die Ergebnisse der beiden Studien, dass Privatheit ein nicht zu vernachlässigender Faktor bei der Entwicklung der App ist, da die Nutzungsbereitschaft bei einer App mit Privatheitsrisiken deutlich verringert ist. Darüber hinaus sind aber auch die wahrgenommene Zuverlässigkeit der Anwendung sowie die wahrgenommene Wirksamkeit der App zur Eindämmung von Covid-19 wichtige Komponenten. Insgesamt war die Nutzungsbereitschaft einer Anwendung, die fehlerfrei arbeitet und keine Privatheitsrisiken aufweist, allerdings sehr hoch. Hierbei gilt es allerdings zu beachten, dass manche Ergebnisse in Deutschland möglicherweise abweichen können, da es empirisch belegte kulturelle Unterschiede zwischen der deutschen und US-amerikanischen Population in Bezug auf die Datenpreisgabe gibt – die typischerweise in Deutschland zögerlicher erfolgt.

Das Manuskript weist ein paar Limitationen auf, die nicht unerwähnt bleiben sollen. In den Studien wurden Vignetten, also Beschreibungen hypothetischer Situationen eingesetzt und folglich konnte kein tatsächliches Verhalten, sondern lediglich die Nutzungsintention erfasst werden – und dies nur basierend auf einer kurzen Beschreibung der Leistungsparameter der App. Da die Verhaltensabsicht und das tatsächliche Verhalten allerdings abweichen können, sind die gefundenen Ergebnisse nur eine erste Einschätzung im Hinblick auf die tatsächliche Nutzung einer entsprechenden App. Außerdem waren die verwendeten Szenarien stark vereinfacht und fokussierten sich auf wenige Faktoren. Dadurch bleiben andere Faktoren möglicherweise unberücksichtigt. Schließlich finden sich im Manuskript keine Beschreibungen der genauen Stichprobenzusammensetzung. An dieser Stelle weisen wir auch darauf hin, dass es sich bei den vorgestellten Studien um einen Preprint, also um Ergebnisse handelt, die noch nicht von anderen Wissenschaftler*innen begutachtet wurden. Ferner scheint interessant zu erwähnen, dass drei der fünf Forscher*innen bei Microsoft Research angestellt sind. Nichtsdestotrotz handelt es sich um einen ersten systematischen Versuch, die Faktoren, die die Nutzungsintention einer spezifischen Covid-19 App beeinflussen, zu bestimmen und der interessante und wichtige Erkenntnisse liefert.

Unter diesem Link kann eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Forscher*innen eingesehen werden.


Über den Autor

Yannic Meier ist Doktorand am Lehrstuhl für „Sozialpsychologie – Medien und Kommunikation“ an der Universität Duisburg-Essen und Mitglied des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten “Forum Privatheit”. Er forscht zu privatheitsrelevantem Online-Verhalten.

Nicole Krämer ist Professorin für „Sozialpsychologie – Medien und Kommunikation“ an der Universität Duisburg-Essen und betreibt seit vielen Jahren empirische Forschung zu den psychologischen Auswirkungen neuer Technologien. Prof. Dr. Nicole Krämer ist Partnerin im “Forum Privatheit”.

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