11.02.2023
Das Forum Privatheit forscht schon länger zum Schutz von Kinderrechten im Bereich der Digitalisierung. Pünktlich zum diesjährigen Safer Internet Day am 7. Februar 2023 erscheint nun ein neues Paper, das untersucht, wie die zunehmende Nutzung digitaler Medien die Privatsphäre von Kindern massiv bedroht - und was dagegen getan werden sollte.
Dazu ein Interview mit PD Dr. Jessica Heesen, Mitglied im Forum Privatheit. Sie untersucht als Medienethikerin in ihrer Forschung insbesondere die Herausforderungen für Kinder und vulnerable Gruppen im Umgang mit dem Internet.
Frau Heesen, der Einsatz digitaler Medien im Umfeld von Kindern und Jugendlichen hat in den letzten Jahren weiter zugenommen. Woran liegt das und inwiefern bedroht dies die Privatsphäre von Kindern und Jugendlichen?
In den letzten knapp drei Jahren spielte natürlich die Corona-Pandemie eine große Rolle: In manchen Phasen und für manche Altersgruppen war es nur über Videokonferenz-Systeme und schulische Plattformen möglich, am Unterricht teilzunehmen. Darüber hinaus konnten viele Kinder nur über Soziale Medien den Kontakt zu ihren Freundinnen und Freunden aufrechterhalten. Hinzu kamen dann noch die vielen Möglichkeiten, sich durch das Surfen im Internet, Filme und Videos die Langeweile zu vertreiben.
Aber die gestiegene Bedrohung der Privatsphäre von Kindern ist nicht allein auf die Corona-Pandemie zurückzuführen, oder?
Nein, natürlich nicht. Digitale Medien gehören auch generell und immer selbstverständlicher zum Aufwachsen in hochtechnisierten Gesellschaften. Kinder und Jugendliche sind damit, ebenso wie Erwachsene, eine wichtige Zielgruppe für die Datenökonomie, zu deren Geschäftsmodell es gehört, möglichst viel über ihre Nutzer:innen zu erfahren.
Warum ist für Sie als Medienethikerin der Schutz der Privatsphäre im Internet gerade bei Kindern und Jugendlichen so wichtig?
Das Internet ist ursprünglich für Erwachsene entwickelt worden. Aber weltweit sind inzwischen ein Drittel der Internetnutzenden unter 18 Jahre alt und gelten damit nach Definition der Vereinten Nationen als Kind. Und auch wenn Kinder im Alter von acht Jahren natürlich andere Fähigkeiten und Ansprüche haben als Jugendliche im Alter von 16 Jahren: Ihnen ist gemeinsam, dass sie besonders verletzliche Entwicklungsphasen durchlaufen und bestimmte Fähigkeiten noch nicht entwickelt haben. Sie haben ein Recht darauf, dass ihre Schutzansprüche wahr- und ernstgenommen werden. Dazu gehören ganz elementar die Wahrung ihrer Privatsphäre und das Recht auf Selbst- und Mitbestimmung.
Können Sie konkrete Beispiele nennen, was passieren kann, wenn die Schutzansprüche von Kindern nicht ernst genug genommen werden?
Der Schutz der Privatsphäre ist gerade bei Kindern und Jugendlichen wichtig, um sie vor kriminellen Übergriffen wie zum Beispiel Cybergrooming zu schützen. Potenzielle Täter nähern sich Kindern zunächst auf digitalen Kommunikationsplattformen, bevor sie versuchen, echte Begegnungen herzustellen, die für das Kind gefährlich werden können. Durch eine datenschutzkonforme Gestaltung der Anwendungen, so genanntes Privacy-by-Design kann die missbräuchliche Nutzung von Bildern oder das Tracking von Kindern durch Unbefugte reduziert werden.
Kinder haben ein Recht darauf, sich frei zu entfalten und nicht durch die missbräuchliche Nutzung ihrer Daten durch Unternehmen der Plattform-Ökonomie manipuliert zu werden. Sie haben ein "Recht auf eine offene Zukunft".
Warum brauchen Heranwachsende ein "Recht auf eine offene Zukunft"?
Das "Recht auf eine offene Zukunft" beinhaltet das Versprechen auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit mitsamt den Voraussetzungen für freie Meinungsbildung und freie Meinungsäußerung. Dazu gehört auch, dass junge Erwachsene nicht durch ihre „Internetgeschichte“ auf ein bestimmtes Erscheinungsbild festgelegt sind, das auf unbestimmte Zeit mitsamt persönlichen Informationen an ihnen "klebt". Der Grundsatz der informationellen Selbstbestimmung wird unter anderem aus dem demokratischen Recht abgeleitet, frei von Überwachung an demokratischen Prozessen teilzuhaben. Insofern ist es für einen demokratischen Rechtsstaat von elementarer Bedeutung, dass Kinder und Jugendliche nicht von klein auf erfahren, dass sie einer ständigen Überwachung ausgesetzt sind. Nur wenn die Daten von Kindern geschützt werden und wenn sie lernen, dass und wie sie ihre Kommunikation vor unerwünschtem Zugriff bewahren, können freie Kommunikation und Information als Kern der demokratischen Willensbildung lebendig bleiben.
Welche nationalen und internationalen Gesetze und Abkommen schützen aktuell die Privatsphäre von Kindern?
Es gibt eine ganze Reihe von Gesetzen und Abkommen, von denen ich nur einige der zentralen nennen möchte. Die Rechte von Kindern auf Privatheit sind durch die allgemeinen Menschenrechte und durch den deutschen Grundrechtekatalog verbürgt. Zusätzlich gibt es Vorgaben, die insbesondere die Situation von Kindern in den Blick nehmen. Dazu gehört auf internationaler Ebene die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Im Jahr 2021 wurde zudem der General Comment Nr. 25 zur UN-Kinderrechtskonvention veröffentlicht, in dem zum ersten Mal auf die Rechte von Kindern in der digitalen Welt eingegangen wird. Ein wesentlicher Teil des Kommentars befasst sich mit dem Schutz der Privatsphäre.
Auf europäischer Ebene haben wir die Datenschutz-Grundverordnung, die unter anderem Altersbeschränkungen für bestimmte Anwendungen vorgibt und fordert, dass Kinder altersgerecht und verständlich über die Verarbeitung ihrer Daten informiert werden. Durch das Jugendschutzgesetz (JuSchG) auf Bundesebene und dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) der Länder ist in Deutschland zudem ein Rechtsrahmen gegeben, der Kinder und Jugendliche vor medienbedingten Entwicklungsbeeinträchtigungen schützen will.
Reichen die gesetzlichen Vorgaben aus?
Ich sehe sowohl bei der konkreten Umsetzung wie auch bei der Stärkung von Rechten Verbesserungsbedarf. Eine Herausforderung liegt darin, dass es beim Privatheitsschutz für Kinder immer auch um Fragen der Befähigung und der Teilhabe geht. Damit sind die Eltern und Bildungseinrichtungen wie auch die Institutionen des Kinder- und Jugendmedienschutzes angesprochen. Es gibt also eine Vielzahl von Akteuren, deren Handeln jedoch nicht immer aufeinander abgestimmt ist. Darüber hinaus sehen wir viele Probleme bei der Gestaltung von Social-Media-Apps: Hier werden systematisch Mechanismen eingesetzt, die darauf abzielen, die Nutzer:innen so lange wie möglich "in der App" zu halten, um möglichst viele ihrer Daten sammeln und nutzen zu können. Diese sogenannten Dark Patterns werden bislang weitgehend unreguliert auch auf Kinder und Jugendliche angewendet. In Bezug auf das Gesetz für digitale Dienste der EU wird diskutiert, das Tracken von Kindern einzuschränken. Außerdem sollen die großen Social-Media-Anbieter eine Risikoeinschätzung zur Wirkung ihrer Anwendungen auf Kinder vornehmen.
Wird denn die europäische Verordnung zur Regulierung Künstlicher Intelligenz, kurz KI-Verordnung, Kinder besonders schützen?
Die KI-Verordnung wird derzeit noch auf EU-Ebene diskutiert und soll im Sommer fertig werden. Sie sieht den besonderen Schutz vulnerabler Gruppen vor Manipulation vor. Noch ist allerdings unklar, wie weit der Begriff Manipulation gefasst wird und inwiefern insbesondere Kinder vor der missbräuchlichen Nutzung von KI-Systemen geschützt werden können.
Wo sehen Sie als Medienethikerin aufgrund Ihrer neuesten Forschungsergebnisse den größten Handlungsbedarf?
Aus Perspektive der Ethik steht bei Fragen des Schutzes der Privatsphäre von Kindern immer ihr Wohlergehen im Zentrum. Das Kindeswohl (the best interests of the child, Artikel 3 UN-Kinderrechtskonvention) ist auch der Ausgangspunkt einer kinderrechtlichen Perspektive. Dies erfordert ein Zusammenspiel von Schutz, Befähigung und Beteiligung, das auf die unterschiedlichen Altersgruppen von Kindern zugeschnitten ist. Es liegt jedoch auf der Hand, dass diese verschiedenen Rechte immer wieder neu miteinander ausgehandelt werden müssen, wenn es um die konkrete Anwendung geht. Wieviel Schutz ist verhältnismäßig, ohne in Bevormundung umzuschlagen? Was darf Kindern zugemutet werden, damit sie ihre Selbstbestimmung erproben können? Solche und ähnliche Fragen veranschaulichen die Spannungsverhältnisse, die es auf dem Weg zu einem sicheren und selbstbestimmten Medienhandeln auszuhalten gilt.
Wer ist hier besonders gefordert: die Eltern, die Schulen oder der Staat?
Es geht um eine geteilte Verantwortungswahrnehmung im besten Interesse des Kindes. Auch Kinder und. Jugendliche selbst sind gefordert, sich mit der eigenen Verantwortung für Privatheit und Sicherheit in der Internetkommunikation auseinanderzusetzen. Verantwortungsteilung darf aber nicht zu einer Verantwortungsdiffusion führen. Vor allem sollte der Staat Ressourcen für die Entwicklung von Normen und die Stärkung von Institutionen bereitstellen.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, um besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen im Netz und in den Sozialen Medien herzustellen, wären das ...
Erstens: Die Daten von Kindern sollten mit einer Löschfrist versehen werden. Das bedeutet konkret, dass z. B. ein Social Media Beitrag eines 14-jährigen nach einem Jahr oder spätestens mit dem Eintritt ins Erwachsenenleben automatisch gelöscht wird. Zweitens: Informationelle Selbstbestimmung sollte altersgerecht in die Schulcurricula aufgenommen werden. Fragen wie: Warum ist Privatheitsschutz in einer Demokratie wichtig? Wie kann ich meine Daten schützen? Aber auch: Welche Daten will ich wie kommunizieren? Und drittens: Der Schutz der Privatheit des oder der Einzelnen ist durch auf maschinellem Lernen basierende Analyse- und Targetingverfahren nur eingeschränkt möglich. Daher müssen insbesondere im Hinblick auf Kinder vermehrt kollektive und gesellschaftliche Schutzmaßnahmen ergriffen werden.
Das Interview führte Barbara Ferrarese.