14. Mai 2020, Markus Uhlmann
Zu einer falschen Unterscheidung in der aktuellen Diskussion
Während die Tracing-App zuweilen als „Heilsbringer“ bezeichnet wird, um die Sicherheitsmaßnahmen zum Umgang mit Covid-19 schrittweise zurückzufahren, gibt es auch kritische Beobachter*innen, welche ihre Einführung grundsätzlich hinterfragen. So lautet ein Vorwurf des Security Experten Bruce Schneier, eine Tracing-App würde keinen sinnvollen Beitrag zur Pandemiebekämpfung leisten, da die Ungenauigkeit der Tracing-Technologie zu einer hohen Zahl an falsch positiven und falsch negativen Meldungen führen könne. Ein solches Risiko einer positiven Falschmeldung besteht etwa, wenn Personen durch eine dünne Wand voneinander getrennt sind, das Bluetooth-Signal aber dennoch einen Kontakt registriert. Weiterhin sind Technologien nicht sensibel für individuelle Risikopräventionsmaßnahmen, die Personen etwa durch Mundschutz ergreifen. Demgegenüber könnte es zu falsch negativen Meldungen kommen, wenn eine Ansteckung mit Covid-19 außerhalb der durch die App vorgegebenen Parameter erfolgt oder wenn infizierte Personen, zu denen ein Kontakt bestand, die Tracing-Technologie nicht verwenden.
Angesichts dieser möglichen Ungenauigkeiten sehen auch Expert*innen aus Technik, Recht und Epidemiologie die Gefahr, dass eine Tracing-Technologie Türen für öffentliche Desinformation öffnen und ein falsches Bewusstsein von Sicherheit verbreiten kann. Bei einer hohen Anzahl an falsch negativen Meldungen ist etwa denkbar, dass eine Lockerung des öffentlichen Lebens ermöglicht wird, bevor eine solche Entscheidung überhaupt gut begründet werden kann. Machen Personen hingegen mehrfach Erfahrungen mit falsch positiven Meldungen, besteht die Gefahr, dass die Benachrichtigungen der App zunehmend ignoriert werden.
Diese kritischen Bedenken, die nicht nur das Wie, sondern auch das Ob der Einführung einer Tracing-App zur Diskussion stellen, sind ernst zu nehmen. Denn wie etwa das Forum Informatiker*innen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V. auf der Grundlage des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips argumentieren, ist der App-Einsatz nur dann zu rechtfertigen, wenn er nicht nur dem Zweck der Pandemiebekämpfung dient, sondern auch geeignet, erforderlich und angemessen ist, um diesen Zweck zu erreichen.
Allerdings darf daraus nicht geschlussfolgert werden, dass Tracing-Apps letztlich nur sinnvoll sind, wenn sie eine nahezu hundertprozentige Sicherheit garantieren.
Denn so berücksichtigt die Anfangs thematisierte Kritik zur Ungenauigkeit der App beispielsweise nicht, dass zumindest den falsch positiven Meldungen mit umfangreichen Test-Möglichkeiten begegnet werden könnte. Um keine überzogenen Erwartungen an technische Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zu wecken, ist es zwar durchaus angebracht, die technische Ungenauigkeit der Tracing-App zur Diskussion zu stellen. Daraus aber eine Fundamentalkritik an der Möglichkeit eines digitalen Contact-Tracings abzuleiten, ohne die möglichen Rahmenbedingungen zur Kenntnis zu nehmen, ist jedoch zu hinterfragen.
Ebenso scheint es nicht zielführend, wenn die Einführung einer Tracing-App als die Antwort auf hochkomplexe gesellschaftliche Herausforderungen begriffen wird. Wie wir am Beispiel der Erfahrungen des Contact-Tracings in Taiwan bereits thematisiert haben, sind für die Eindämmung von Covid-19 nicht nur digitale Tools relevant. Dass es großen Diskussions- und Handlungsbedarf bezüglich der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für das Contact-Tracing gibt, zeigt auch der offene Brief an die Bundesregierung des Vereins Digitale Gesellschaft e.V. auf. Darin werden insbesondere mögliche Herausforderungen hinsichtlich der Handlungsoptionen- und Konsequenzen diskutiert, die mit der Einführung einer Tracing-App verknüpft sind. Um die Meldungen durch die App zu verifizieren, müssen zunächst ausreichende und gesicherte kostenlose Test gewährleistet werden. Hierfür bedarf es auch einer engen Abstimmung mit den Gesundheitsämtern, die eine telefonische Beratung für Nutzer*innen ermöglichen und im Falle eines Fehlalarms Entwarnung geben. Schließlich gilt es eine Reihe rechtlicher Fragen zu klären, die nicht nur datenschutzrechtliche Aspekte berühren. Wie ist etwa einer Benachrichtigung der App Folge zu leisten, wenn ihre Nutzung freiwillig ist? Hat es rechtliche Konsequenzen, wenn Anweisungen ignoriert werden? Welche Bedingungen müssen geschaffen werden, damit sich Arbeitnehmer*innen bei einer Benachrichtigung der App in Quarantäne begeben können? Schließlich könnten Nutzer*innen durch Arbeitergeber*innen, die kein Homeoffice ermöglichen, unter Druck gesetzt werden, die Nachrichten der App nicht zu beachten. Einen ersten Vorschlag für die juristische Klärung dieser Fragen lieferten jüngst Datenschutzexpert*innen.
Damit wird deutlich, dass ein digitales Contact-Tracing keine Pauschalantwort auf gegenwärtige komplexe gesellschaftliche Herausforderungen ist. Eine solche Perspektive verkennt die notwendigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eines erfolgreichen App-Einsatzes.
Ebenso wenig, wie individuelle Präventionsmaßnahmen auf der Grundlage von Mundschutz oder Social Distancing-Maßnahmen eine endgültige Sicherheit gewährleisten können, so ist auch eine Tracing-App weder eine digitale Wunderwaffe noch gänzlich nutzlos zur Pandemiebekämpfung. Damit sie einen sinnvollen Beitrag leisten können, müssen Tracing-Technologien vielmehr als eine Hilfestellung zum Umgang mit Covid-19 begriffen werden. Denn wie die Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann in einem Interview konstatiert, kann die Tracing-App immer nur so gut sein, wie die gesellschaftliche Infrastruktur, in die sie eingebettet ist.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Soziologische Theorie (BMBF-Projekt "Faire digitale Dienste: KoValuation in der Gestaltung datenökonomischer Geschäftsmodelle (FAIRDIENSTE)")