02. Mai 2020, Markus Uhlmann
Wie die jüngsten Debatten zeigen, ist das Kriterium der Vertrauenswürdigkeit für den Erfolg von Tracing-Technologien essentiell. Bis vor Kurzem hat die Bundesregierung eine zentralisierte Server-Lösung zur Datenspeicherung favorisiert.
Nachdem in einem offenen Brief netzpolitische Organisationen diesen Entwicklungspfad heftig kritisierten (vgl. Beitrag zum Richtungsstreit unter den Corona-App-Entwicklern) und die Technologieunternehmen Apple und Google auf einen dezentralisierten Ansatz setzen (vgl. Beitrag Contact-Tracing – Google und Apple als Heilsbringer?),
ist nun auch die Bundesregierung in diese Richtung eingeschwenkt. Denn
die meisten Expert*innen sind sich mittlerweile einig, dass nur eine dezentrale Lösung begründetes Vertrauen
ermöglichen kann. An dieser Stelle ist es wichtig, den Verweis auf die
Notwendigkeit der Etablierung begründeten Vertrauens ernst zu nehmen.
Denn Vertrauen ist nicht gleich Vertrauen. Zwar suggeriert die
öffentliche Debatte zuweilen, dass die Schaffung von Vertrauen
vordergründig auf die Gewinnung möglichst vieler freiwilliger App-Nutzer*innen
abzielt. Ob die Vertrauensinvestition von Nutzer*innen aber tatsächlich
gerechtfertigt ist und Tracing-Technologien vertrauenswürdig sind, wird
bei dieser Perspektive auf Vertrauen allerdings vielfach ausgeblendet.
Für die Schaffung begründeten Vertrauens kommt es daher darauf an, dass
die Vertrauenserwartungennachweislicherfüllt werden, die Nutzer*innen an
eine Tracing-App adressieren. Dazu sind die folgenden Kriterien von
Bedeutung:
- Erstens setzt begründetes Vertrauen voraus, dass
App-Entwickler*innen Verantwortung für eine vertrauenswürdige
Technikentwicklung und Risikoprävention übernehmen. Neben einer angemessenen Umsetzung von Datenschutzvorgaben
kommt es darauf an, dass im Rahmen der App-Entwicklung
Datenschutz-Folgenabschätzungen (DSFA) gemäß Art. 35 DSGVO durchgeführt
werden. DSFA sehen eine Dokumentation der geplanten
Datenverarbeitungsvorgänge vor. Ziel ist die frühzeitige Ermittlung von
möglichen Risiken und die Etablierung von Maßnahmen zu ihrer
Verringerung. Die Bedeutung von DSFA für die Entwicklung von
Tracing-Apps haben jüngst auch Expert*innen aus Informatik und Datenschutz hervorgehoben. Im Rahmen von DSFA müssen App-Entwickler*innen auch die Prävention von kollektiven Risiken
von Tracing-Apps reflektieren, die (noch) nicht vom geltenden
Datenschutzrecht berücksichtigt werden. So muss etwa ausgeschlossen
werden, dass anonymisierte Daten dazu genutzt werden, um
gesellschaftliche Risikogruppen zu bestimmen, die dann einer gesonderten
Überwachung unterstehen oder denen der Zugang zu bestimmten
gesellschaftlichen Leistungen verwehrt wird.
- Zweitens ist es
geboten, dass die Umsetzung von Datenschutz- und
Risikopräventionsmaßnahmen von unabhängigen Instanzen wie
Datenschutzaufsichtsbehörden evaluiert wird. Da sich die
Vertrauenswürdigkeit von Tracing-Technologien im Zeitverlauf bewähren
muss, müssen Kontrollen auch nach der Einführung einer Tracing-App
fortlaufend aktualisiert werden. Dabei darf es nicht nur um
standardisierte Kontrollen bezüglich der Erfüllung der
Mindestanforderungen des Datenschutzes gehen. Vielmehr sollten
Hersteller*innen von Tracing-Apps im Rahmen von unabhängigen Kontrollen
nachweisen, dass sie proaktiv Verantwortung zur Risikoprävention
übernehmen und die Gestaltungsoption wählen, die Datenschutz am besten
verwirklicht.
- Drittens bedarf es einer angemessenen Vermittlung von Risikobewertung und Risikomanagement.
Im Rahmen der Risikobewertung geht es um die Frage, ob ein Risiko für
die Bevölkerung als hoch oder niedrig einzuschätzen ist.
Datenschutzrisiken sollten dabei für verschiedene Gestaltungsvorschläge
für Tracing-Technologien bewertet werden. Die aktuelle Entwicklung
zeigt, dass hierfür eine zentrale Instanz wichtig ist, die verschiedene
IT-Projekte koordiniert. Wie der Vorsitzende der Gesellschaft für
Freiheitsrechte Ulf Buermeyer in einem Interview des Deutschlandfunks
argumentiert, macht der langwierige Streit um dezentrale und zentrale
Datenspeicherung auf den Bedarf für eine solche Steuerungsinstanz
aufmerksam. Neben Risiken für den Privatheitsschutz müssen aber auch
Risiken evaluiert werden, welche die Pandemieentwicklung betreffen. Die
Einbeziehung der Epidemiologie stellt sicher, dass Tracing-Apps einen
tatsächlichen Beitrag zur Pandemiebekämpfung leisten und ist
unerlässlich, um Empfehlungen zur Dauer der Anwendung von Tracing-Apps
zu geben. Im Rahmen des Risikomanagements wird sodann entschieden,
welche Risiken zu welchen Kosten vertretbar sind, welche
Bevölkerungsgruppen besonderen Schutz benötigen und welche Maßnahmen zur
Prävention von Gesundheitsrisiken angemessen sind. Für eine
Corona-Tracing-App ist zu gewährleisten, dass Grundrechtsschutz und
Pandemiebekämpfung möglichst nicht zu einem Zielkonflikt führen
(##Blogeintrag: Verfassungsrechtliche Grundlagen##). Um eine faire
Vermittlung von gesundheitlichen, politischen, ethischen und
ökonomischen Wertgesichtspunkten zu ermöglichen, sind bei Entscheidungen
des Risikomanagements verschiedene Stakeholder einzubeziehen.
Wichtig ist hierbei, dass Risikobewertung und Risikomanagement
unabhängig voneinander sind. So sollte eine wissenschaftliche
Risikobewertung beispielsweise nicht von vornherein von ökonomischen
Erwägungen beeinflusst sein.
- Viertens erfordert begründetes
Vertrauen, dass Vertrauensverletzungen von unabhängigen
Kontrollinstanzen aufgedeckt und sanktioniert werden. Die
Mobilisierung von Sanktionen zeigt an, dass die institutionalisierten
Vertrauenskontrollen funktionieren. Darüber hinaus schaffen
Sanktionspotenziale Anreize zur Erfüllung von hohen
Datenschutzstandards.
- Fünftens setzt Vertrauen eine angemessene Informierung verschiedener Akteur*innen voraus.
Hierbei ist es zunächst unabdingbar, dass Nutzer*innen über die
Vertrauenswürdigkeit von Tracing-Apps in Kenntnis gesetzt werden.
Wirksame Zertifizierungsmaßnahmen, die im Anschluss an unabhängige
Kontrollen vergeben werden, können hier eine wichtige Rolle spielen.
Begründetes Vertrauen erfordert dabei auch die Möglichkeit des Entzugs
unbegründeten Vertrauens. Daher müssen unabhängige Instanzen wie
Aufsichtsbehörden Nutzer*innen frühzeitig über Vertrauensverletzungen
informieren. Wie nicht zuletzt die Entscheidung für einen
dezentralisierten Ansatz gezeigt hat, ist es für die Entwicklung einer
vertrauenswürdigen Tracing-Technologie wichtig, dass auf die Kritik und
Präferenzen von Nutzer*innen und netzpolitischen Akteur*innen
eingegangen wird.
Diese Kriterien machen deutlich, dass begründetes Vertrauen auf eine
Feinabstimmung unterschiedlicher Instrumente und Institutionen
angewiesen ist. Sobald wichtige Kriterien zur Gewährleistung von
Vertrauen vernachlässigt werden, kann die Vertrauenswürdigkeit
sämtlicher technischer und regulativer Bemühungen in Zweifel gezogen
werden. Wir möchten daher dafür plädieren, dass der Fokus auf die
Gestaltung von Institutionen gerichtet wird, welche die Kriterien zur
Gewährleistung begründeten Vertrauens berücksichtigen.
Über den Autor
Markus Uhlmann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität
Kassel im “Projekt Hessisches Zentrum für verantwortungsbewusste
Digitalisierung” sowie Mitglied des vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung (BMBF) geförderten “Forum Privatheit”.